Landwirtschaft, Handel und Gewerbe

Landwirtschaftliche Großbetriebe 1919/20 im Kreis Tilsit einschl. des zugehörigen Teils im Memelland
Die folgenden Angaben betreffen einzig den Kreis Tilsit, wie er nach dem 1. Weltkrieg noch bis 1919 bzw. 1920 bestand. Bis dahin waren die Kreise Tilsit und Ragnit voneinander getrennt, also selbständige Kreise gewesen. Zu jedem dieser Kreise gehörte ein Teil des Memellands. Die Memel floß fast mitten durch diese Kreisgebiete.
Welche größeren landwirtschaftlichen Betriebe es bis ca. 1920 im Kreis Tilsit unter Einbeziehung des Anteils im damals noch deutschen Memelland gab, zeigt folgende Aufstellung. Zu deren Erarbeitung wurde besonders die Literaturquelle [1] (siehe am Schluß dieses Artikels) herangezogen.
Erläuterungen zum Schema der folgenden Kurzbeschreibungen der landwirtschaftlichen Güter im Kreis Tilsit 1919/20:
Die Güter sind alphabetisch nach ihren Dorfnamen geordnet (Namensgebung nach dem Stand vom 1. Juni 1939; in Klammern der frühere Ortsname). Zum leichteren Auffinden der Gutsdörfer auf der Landkarte ist deren Entfernung vom jeweils nächsten Bahnhof (Bf.) in km angegeben, falls das betreffende Dorf nicht selbst einen Bahnhof hatte. Im Memelland befindliche Gutsdörfer haben nachstehend den Zusatzvermerk Memelland.
Die Zahl mit der beigefügten Flächeneinheit ha (Hektar) gibt an, wie groß die bewirtschaftete Gesamtfläche (zus. Acker, Wiesen, Weiden, Holzungen, Gärten, Umland, Hofräume, Wege und Wasserflächen) des jeweiligen Gutes war. Zahl der Pferde ist meist einschließlich der Fohlen, Zahl des Rindviehs immer als Summe von Milchkühen, Bullen und Kälbern angegeben.

Ablenken, 4 km bis Bf. Gröszpelken, Memelland;
1) Gut mit Vorwerk Greiszöhnen; 211 ha, 40 Pferde, 83 Rindvieh;
Besitzer Benno Heimbs, Amtsvorsteher.
2) Gut mit Vorwerk Gillanden, Mühlengut; 390 ha, 80 Pferde, 60 Rindvieh;
Besitzer Schulz und Schuster.

Absteinen, 4 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
1) Gut; 204 ha, 30 Pferde, 95 Rindvieh;
Besitzer Hermann Büchler.
2) Gut; 44 ha, 8 Pferde, 16 Rindvieh;
Besitzer Hermann Dalchow.

Adelshof (Naudwarischken), 6 km bis Bf. Linkuhnen;
Gut; 74 ha, 15 Pferde, 40 Rindvieh;
Besitzer Heinrich Spielgies.

Alex-Meschkeit, 3 km bis Bf. Stonischken, Memelland;
Gut; 178 ha, 16 Pferde, 180 Rindvieh;
Besitzer Franz Habedanck, Adlig-Schillgallen, Verwalter Bruno Cornelsen.

Baubeln Adlig -, 2,5 km bis Bf. Pogegen, Memelland;
Rittergut mit den Vorwerken Heinrichsthal, Mikieten und Schönwalde; 993 ha, 140 Pferde, 220 Rindvieh;
Besitzer Wilhelm Schlenther, Landrat und Geheimer Regierungsrat, Tilsit, Verwalter Fritz Aschmoneit, Oberinspektor.

Bendigsfelde (Bendiglauken), 4 km bis Bf. Tilsit;
Gut, mit Anteil in Senteinen; 67 ha, 21 Pferde, 34 Rindvieh;
Besitzer Julius Reitmeyer.

Berneiten (später vermutl. in Pamletten eingemeindet), 2 km bis Bf. Pamletten; Rittergut; 318 ha, 36 Pferde, 160 Rindvieh;
Besitzer Georg Gusovius.

Birgen (Birjohlen), 5 km bis Bf. Tilsit;
Gut; 117 ha, 20 Pferde, 70 Rindvieh;
Besitzer Dr. Wilhelm Surmann.

Bojehnen, 3 km bis Bf. Gudden, Memelland;
1) Gut; 79 ha, 14 Pferde, 60 Rindvieh;
Besitzer Julius Kiehl.
2) Gut; 45 ha, 10 Pferde, 30 Rindvieh;
Besitzer Johann Papendick.

Dingken, 3 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Oberförsterei, zum Teil im Kreis Heydekrug gelegen, Torfstich; 4630 ha Wald, Wiesen, Wege, keine Pferde, kein Rindvieh;
Besitzer Fiskus, Verwalter Forstmeister Liebeneiner.

Ehrenfelde (Eromeiten), 3 km bis Bf. Pamletten;
Gut; 143 ha, 25 Pferde, 93 Rindvieh;
Besitzer Richard Bleyer.

Ernstthal, 1, 2 km bis Bf. Strasden, Memelland;
Gut, mit Anteil in Neppertlauken; 98 ha, 13 Pferde, 50 Rindvieh;
Besitzer Otto Hörn.

Grigoleiten, 2 km bis Bf. Pogegen, Memelland;
Gut; 135 ha, 20 Pferde, 65 Rindvieh;
Besitzer Waldemar Gaßner.

Groß-Plauschwarren Adlig-, Memelland, 5 km bis Bf. Tilsit; Rittergut, zum Gutsbezirk Schilleningken gehörig; 134 ha, keine Pferde, 62 Rindvieh;
Besitzer Hans Reimer, Adlig-Schilleningken, Verwalter Kurt Schlenther.

Großschenkendorf (Lenkonischken), 4 km bis Pamletten;
Gut, mit Anteilen in Pamletten; 510 ha, 70 Pferde, 210 Rindvieh;
Besitzer Carl Bender.Groß-Schillgallen Adlig-, 3 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Rittergut, mit Schudiener Wald, Molkerei; 488 ha, darunter 84 ha Wald, 56 Pferde,
144 Rindvieh;
Besitzer Franz Habedanck.Grünheide, 2 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Gut; 50 ha, 5 Pferde, 28 Rindvieh;
Besitzer Louis Gennieß.Hegehof (Adlig-Schilleningken), 5 km bis Bf. Tilsit;
Rittergut, mit Anteilen in Baumgarten, Waldhof, Grünwalde, Rinduppen und Adlig-Groß Plauschwarren; 1506 ha, 68 Pferde, 398 Rindvieh;
Besitzer Hans Reimer, Verwalter Kurt Schlenther.Heydeberg, 7 km bis Bf. Mädewald, Memelland;
Gut, Molkerei; 186 ha, 18 Pferde, 40 Rindvieh;Besitzer Friedrich Sitter.
Jägenberg, 5 km bis Bf. Pogegen, Memelland;
Gut, mit Anteilen in Wittschen, Nausseden und Annuschen; 204 ha, 12 Pferde, 50 Rindvieh; Besitzer Frau Paula Paulini.Jogauden, 5 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
Gut; 164 ha, 16 Pferde, 60 Rindvieh;
Besitzer Rudolf Riemer.Jonikaten, 4 km bis Bf. Gudden, Memelland;
Gut, Sägewerk mit Walzengatter; 260 ha, 36 Pferde, 150 Rindvieh;
Besitzer Ernst Janz.Kallehnen, 3 km bis Bf. Laugszargen, Memelland;
Gut, mit Vorwerk Krakischken (Kr. Ragnit), Remontezucht, Molkerei, Tilsiter-Käse-Herstellung; 115 ha, 40 Pferde, 50 Rindvieh;
Besitzer Johann Keckstadt.Kallweiten, 3 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
Gut; 467 ha, 72 Pferde, 138 Rindvieh;
Besitzer Gurt Görke.Kerkutwethen, 3 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
Gut, mit Windmühle; 60 ha, 12 Pferde, 28 Rindvieh;
Besitzer Georg Grigoleit.Kleinballgarden (Ballgardehlen), 3 km bis Bf. Girschunen;
Gut, zum Gutsbezirk Siedelhöhe (Paszelgsten) gehörig; 127 ha, 15 Pferde, 50 Rindvieh;
Besitzer Stadtgemeinde
Kubsteningken, 6 km bis Bf. Mädewald, Memelland;
Gut, Molkerei; 126 ha, 17 Pferde, 49 Rindvieh;
Besitzer George Palloks.Kutturen, 9 km bis Bf. Laugszargen, Memelland;
Gut, Molkerei; 68 ha, 14 Pferde, 30 Rindvieh;
Besitzer Ernst Domasch.Kutzen, 6 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Gut, zur Gemeinde Lasdehnen gehörig, ostpr. Stutbuchstuten, Windmotor; 77 ha,
22 Pferde, 50 Rindvieh;
Besitzer Max Rogall, Tilsit.Lasdehnen, 6 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Gut; 58 ha, 22 Pferde, 33 Rindvieh;
Besitzer Georg Mertineit.Laugszargen, Bahnstation, Memelland;
Gut; 220 ha, 30 Pferde, 95 Rindvieh;
Besitzer Carl Emil Gutzeit.Mädewald, Bahnstation, Memelland;
Gut; 50 ha, 8 Pferde, 15 Rindvieh;
Besitzer Leopold Dembinsky.
Maszurmaten, 2 km bis Bf. Willkischken, Memelland; Gut; 72 ha, 8 Pferde, 42 Rindvieh;
Besitzer Rudolf Teubler.Milchbude Adlig-, Memelland, 4 km bis Bf. Tilsit;
Rittergut, mit Abbau Nausseden, Vieh- und Pferdezucht; 301 ha, 45 Pferde, 150 Rindvieh;
Besitzer Fritz Habedanck.Moritzhöhe (Moritzkehmen), 5 km bis Bf. Tilsit;
Gut, mit Vorwerk Groß-Plauschwarren; 200 ha, 24 Pferde, 160 Rindvieh;
Besitzer Heinrich Gerull.Pakamonen, 3 km bis Bf. Stonischken, Memelland;
Gut, Wasser-Mahlmühle mit Turbinen, Molkerei; 334 ha, 30 Pferde, 200 Rindvieh;
Besitzer Franz Habedanck, Adlig-Schillgallen, Verwalter Bruno Cornelsen.Pellehnen, 5 km bis Bf. Jecksterken, Memelland;
Gut; 63 ha, 19 Pferde, 34 Rindvieh;
Besitzer Heinrich Buttkereit.Piktupönen, 3 km bis Bf. Cullmen-Jennen, Memelland;
Gut; 57 ha, 7 Pferde, 27 Rindvieh;
Besitzer Johann Matschullis.Pillwarren, 5 km bis Bf. Stonischken, Memelland;
Gut, mit Anteilen in Leitwarren, Deutsch-Pillwarren, Torfstich in Pageldienen; 167 ha,
10 Pferde,20 Rindvieh;
Besitzer Fritz Franz.

Polompen, 4 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
Gut, Torfstich; 396 ha, 53 Pferde, 150 Rindvieh;
Besitzer Adolf Würth.

Preußen, 5 km bis Bf. Tilsit;
Gut; 167 ha, 20 Pferde, 75 Rindvieh;
Besitzer: M. Kairies.

Prussellen, Memelland, 5 km bis Bf. Tilsit;
Gut; 67 ha, 16 Pferde, 46 Rindvieh;
Besitzer David Kairies.

Punkt-Preußen, 3 km bis Bf. Tilsit;
Gut, zur Stadt Tilsit gehörig, mit Vorwerk Krakonischken, zur Stadt Ragnit gehörig;
162 ha, 24 Pferde, 110 Rindvieh;
Besitzer Max Weisser.

Rothof, 4 km bis Bf. Willkischken, Memelland;
Gut, zur Gemeinde Absteinen gehörig; 120 ha, 18 Pferde, 60 Rindvieh;
Besitzer Walter Schon.

Schimkaiten, 3 km bis Bf. Gudden, Memelland;
Gut, zur Gemeinde Piktupönen gehörig; 90 ha, 14 Pferde, 16 Rindvieh;
Besitzer F. Wannovius.

Schreitlaugken Adlig-, Memelland (im Memelbogen gegenüber Ragnit), 8 km bis Bf. Willkischken; Rittergut, mit Wahlenthal, Kämpen und Dallnitz; 2267 ha, 200 Pferde,
450 Rindvieh;
Besitzer Konrad von Keßler.

Senteinen, 3 km bis Bf. Tilsit; Gut und Ziegelei mit Ringofen und Maschinenbetrieb; 64 ha, 21 Pferde, 40 Rindvieh;
Besitzer Max Schulz.

Siedelhöhe (Paschelgsten), 3 km bis Bf. Girschunen;
Gut; 140 ha, 20 Pferde, 75 Rindvieh;
Besitzer Egbert Schuster.

Sterpeiken, 3 km bis Bf. Cullmen-Jennen, Memelland;
Gut, zur Gemeinde Wittgirren gehörig; 130 ha, 15 Pferde, 60 Rindvieh;
Besitzer Max Engler.

Swareitkehmen, 3 km bis Bf. Mädewald, Memelland;
Gut, mit Anteilen in Plaschken und Klein-Bersteningken; 196 ha, 28 Pferde, 110 Rindvieh;
Besitzer W. Gober.

Tauern (Taurothenen; Gut Klein-Taurothenen später in Taurothenen eingemeindet), 3 km bis Bf. Argenhof; Gut; 119 ha, 22 Pferde, 75 Rindvieh;
Besitzer Christoph Endrejat.

Obwohl die Titelseite von [1] auf eine seriöse Erarbeitung der Buchvorlage schließen läßt, ist in dieser Aufstellung mit Fehlern und fehlenden Angaben zu rechnen. Das Buchmanuskript entstand vermutlich schon weitgehend 1919, im ersten Jahr nach dem 1. Weltkrieg, als Eile geboten war. Die Absicht der Siegermächte, das Memelland von Deutschland abzutrennen, war da bereits bekannt. Es hätte nämlich passieren können, daß die Sieger infolge ihrer Annexionsabsichten schon sehr bald verboten hätten, das Memelland in einem amtlichen Schriftwerk noch als deutsches Gebiet auszuweisen.

Am 16. Juni 1919, bereits vor Abschluß des Versailler Vertrages, erhielt die dt. Reichsregierung eine verbindliche Note mit der Mitteilung, “daß die alliierten und assoziierten Mächte entschieden hätten, das Memelgebiet Deutschland wegzunehmen. Es sei immer litauisch gewesen …” (s. [2] Seite 32). Bei dieser Entscheidung blieb es auch.

“Wie im Burgenland und in Südtirol, in Moresnet, Eupen-Malmedy, Elsaß-Lothringen, im Hultschiner Ländchen, in Oberschlesien, Posen, Westpreußen und Danzig, wurde auch im Memelland das vom amerikanischen Präsidenten W. Wilson zuvor am 11. Februar 1918 beschworene Selbstbestimmungsrecht der Völker grob mißachtet” (s. [2] Seite 35). Trotz wiederholter heftiger Proteste der deutschen Bevölkerung trennten die Siegermächte die von ihnen zur Annexion bestimmten Gebiete ohne vorherige Volksabstimmungen, also gewaltsam ab. Wer Interesse hat, die Geschichte des Memellands des 20. Jahrhunderts genauer kennenzulernen, möge insbesonders das Buch [2] erwerben. Den Interessenten sei geraten, die Bestellung im Buchhandel bald aufzugeben, bevor die letzten Exemplare vergriffen sind.

Anmerkungen:
[1]
Landwirtschaftliches Güter-Adreßbuch für die Provinz Ostpreußen.
3., völlig neu bearbeitete Auflage. Mit Unterstützung der General-LandschaftsDirektion zu Königsberg i. Pr., nach amtlichen Quellen und auf Grund unmittelbarer Angaben von Julius Ernst bearbeitet.
Mit einer Einleitung von Dr. J. Hansen, Geheimer Regierungsrat, Professor und Direktor des Landwirtschaft!. Instituts der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr.
Reichenbach’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1920.
[2] Das Memelland, gestern und heute.
Eine historische und rechtlich Betrachtung; von Prof. Dr. Gilbert Gornig. 301 Seiten. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 1991. ISBN 3-88557-087-0.
[3] Das Memelland.
Kulturelle Arbeitshefte Nr. 31, von Prof. Dr. Gilbert Gornig. 24 Seiten. Bund der Vertriebenen, 53175 Bonn, Godesberger Allee 72-74. ISBN 3-925103-58-9.
Autor : Helmut Fritzler, Leipzig
Quelle : “Memel-Jahrbuch” für das Jahr 2003 – Selbstverlag Manfred Malien 24211 Preetz

© Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V.
verfaßt am 22.02.2005

Medizinische Versorgung 1938/39 im Kreis Tilsit-Ragnit – südlich der Memel –

Dieses Thema hat gewiß einen großen Interessentenkreis, weil viele alteingesessene Bürger hier in Sachsen und sicherlich auch in anderen Bundesländern gern behaupten, daß in ihrem deutschen Landesteil schon seit jeher alles immer am besten organisiert war. Etwas anderes möchten sie nicht wahrhaben. Mit diesem Artikel versuche ich darzulegen, daß es zum Beispiel in unserm ostpreußischen Kreis Tilsit-Ragnit eine qualifizierte und weitgehend reichliche medizinische Versorgung gab.
Im Folgenden werden in den Hauptabschnitten die

  1. Ärzte und Heilpraktiker
  2. Zahnärzte, Dentisten und zahntechnische Labors
  3. Apotheken
  4. Tierärzte

angegeben, die gemäß den Einwohnerbüchern in der Zeit 1938/39 im Kreis Tilsit-Ragnit praktizierten. Jeder aus unserm Heimatkreis, der die folgende Aufstellung liest, möge sich an seinen Hausarzt, andere Ärzte und medizinische Betreuer dankbar erinnern, die im Krankheitsfall treue Hilfe leisteten. Vergessen seien auch nicht die Tierärzte, die zum erkrankten Vieh auf den Bauernhof gerufen wurden.
Ich erinnere mich zum Beispiel mit großer Dankbarkeit an den Arzt Dr. Wilhelm Sieloff in Breitenstein, der bei meiner Erkrankung an Diphtherie im September 1937 auf den Telefonanruf hin sofort mit seinem PKW Opel P 4 nach Lindenthal (14 km) kam und in den folgenden Tagen immer wieder kam, bis ich nach über zwei Monaten diese schwerste Erkrankung meines Lebens vollständig überwunden hatte. Ohne die Behandlung durch Dr. Sieloff hätte ich mit 7 Jahren jene Krankheit sicherlich nicht überlebt, und ich bin unserm Herrgott dankbar, daß es mich heute noch gibt.
Dr. med. Sieloff wurde am 4. April 1892 in Grünbirken (Berschienen) im Kreis Insterburg geboren und starb am 6. August 1966 in Hilden bei Düsseldorf.

1.1 Ärzte in Tilsit

  • Sanitätsrat Dr. med. Rudolf Bandisch, Landwehrstraße 5
  • med. Elisabeth Blask, Ärztin, Hohe Straße 26
  • med. Rudolf Creifelds, Facharzt für innere Krankheiten, Hohe Straße 82
  • med. Werner David, leitender Arzt der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses, Roonstraße 4
  • med. Günther Dunst, praktischer Arzt, Hohe Straße 35
  • med. Hellmuth Feeder, Wasserstraße 7/8
  • med. Adolf Fischer, Hautarzt, Wasserstraße 9
  • med. H. Gabriel, Hohe Straße 84
  • med. Wilhelm Kaiser, praktischer Arzt, Schenkendorfplatz 11
  • med. Friedrich Kroll, Chefarzt des Städt. Krankenhauses, Sommerstraße 44
  • med. Wolfgang Lengemann, Deutsche Straße 24
  • med. Paul Liste, Frauenarzt, Schenkendorfplatz 8 a und Rosenstraße 6
  • med. Edmund Nawitzky, Hohe Straße 41
  • med. Otto Nordalm, Facharzt für Chirurgie, Hohe Str. 84 und Moltkestraße
  • Erich Oltersdorf, praktischer Arzt, Stolbecker Straße 20
  • med. Herbert Otte, Facharzt für Chirurgie, Chefarzt des Kreiskrankenhauses, Wasserstraße 6 und Rosenstraße 6
  • med. Reinhold Pachur, Facharzt für Haut- und Harnleiden, Deutsche Straße 17
  • Medizinalrat Dr. med. Theodor Rehberg, Direktor des Tuberkulosenkrankenhaus Bismarckstr. 32
  • med. Erich Remky, Augenarzt, Hohe Straße 25/26
  • med. Eva Remky, Augenärztin, Hohe Straße 25/26
  • med. Henry Rittberger, Hohe Straße 27
  • med. Ernst Schatz, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kasernenstraße 24
  • med. Alfred Schmeer, Hohe Straße 63
  • med. Guido Sommer, Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten,
    Hohe Str. 34
  • med. Günther Stach, Kasernenstraße 25
  • med. Max Weigel, praktischer Arzt, Kasernenstraße 20
  • med. Erich Winter, Kasernenstraße 24 Sanitätsrat
  • med. Egbert Woede, Hohe Straße 35

1.2 Ärzte im Kreis Tilsit-Ragnit

  • med. Bruno Eywill, Ragnit, Hindenburgstraße 31
  • med. Hugo Stumm, Ragnit, Hindenburgstraße 48
  • med. Fritz Baehr, praktischer Arzt, Altenkirch, Ziegelstraße 7
  • med. Wilhelm Sieloff, praktischer Arzt, Breitenstein
  • med. Erich Bloch, praktischer Arzt, Schulen
  • med. Paul Schellong, praktischer Arzt, Schulen

1.3 Heilpraktiker in Tilsit

  • Gustav Ball, Mitglied im HD., Am Anger 6
  • Hugo Böge, Kasernenstraße 18
  • Walter Graffenberg, Mitglied im HD., Wasserstraße 21
  • Heinz Hermanek, Mitglied im HD., Stolbecker Straße 120
  • Fritz Rimkeit, Deutsche Straße 64
  • Benno Rosentreter, Am Deutschen Tor 3

2.1 Zahnärzte in Tilsit

  • med. Gerhard Bartenwerfer, Clausiusstraße 2
  • med. Ewald Buddrus, Hohe Straße 25/26
  • med. Karl-Heinz Elfering, Wasserstraße 6
  • med. Conrad Jacob, Hohe Straße 63
  • med. Emil Keßler, Hohes Tor 1/2
  • med. Horst Kliewer, Hohe Straße 31
  • Erika Lottermoser, Hohe Straße 10
  • Martin Lottermoser, Hohe Straße 10
  • med. Alfred Müllauer, Hohe Straße 40
  • med. Arno Reiner, Hohe Straße 49/50
  • med. Paul Schimanski, Deutsche Straße 50
  • med. Horst Zimmer, Clausiusstraße 6

2.2 Zahnärzte im Kreis Tilsit-Ragnit

  • med. Erich Lenkeit, Ragnit, Hindenburgstraße 8

2.3 Dentisten in Tilsit

  • Egon Bauer, Schlageterstraße 52
  • Otto Bildat, Hohe Straße 70
  • Reinhard Bratz, Hohe Straße 47/48
  • Gertrud Degen, Stolbecker Straße 110 a
  • Alfred Dilba, Hohe Straße 81
  • Wilhelm Erdmann, Angerpromenade 10
  • Ewald Janz, Hohe Straße 38
  • Karl Kohtz, Bahnhofstraße 3
  • Margarete Leiß, Kasernenstraße 18
  • Kurt Liedtke, Hohe Straße 46
  • Willy Naekel, Hohe Straße 41
  • Walter Pallok, Dragonerstraße 3
  • Kaethe Sander, Bahnhofstraße 12
  • Eugen Schneider, Hohe Straße 79
  • Alfred Schulz, Hohe Straße 54
  • Charlotte Schulz, Am Anger 5
  • Paul Spahn, Hohe Straße 21/22
  • Agnes Westphal, Schlageterstraße 18
  • Fritz Wiesenberg, Langgasse 11
  • Hans Willuhn, Hohe Straße 78
  • Gustav Wilma, Deutsche Straße 36
  • Kurt Zimmermann, staatl. gepr. Dentist, Röntgen-Labor, Hohe Straße 81

2.4 Dentisten im Kreis Tilsit-Ragnit

  • Charlotte Kapp, Zahnpraxis, Ragnit, Markt 12
  • Alma Layer, Ragnit, Markt 2
  • Hans Meyhoefer, Altenkirch, Hauptstraße 23
  • Hans Agarius, Breitenstein
  • Ernst Dillo, Breitenstein
  • Walter Heer, Rautenberg
  • Willy Kadagies, Sandkirchen
  • Kurt Eckstein, Schulen
  • Franz Eggert, Schulen
  • Frau Schellong, Schulen
  • Kurt Kloweit, Trappen

2.5 Zahntechnische Labors in Tilsit

Hans Arnold, Deutsche Straße 54 Paul Piontkowski, Landwehrstraße 43

3.1 Apotheken in Tilsit

  • Adler-Apotheke, Deutsche Straße 1 Bären-Apotheke, Inh. Ernst Lunau,
    Hohe Straße 66
  • Elch-Apotheke, Inh. Dr. Paul Wiskirchen, Stolbecker Straße 113 a
  • Falken-Apotheke, Inh. Kurt Peters, Deutsche Straße 69
  • Grüne Apotheke, Inh. H, Wächters/Pächter Manfred Vollradt, Deutsche Straße 63
  • Kronen-Apotheke, Hohe Straße 26
  • Luisen-Apotheke, Inh. Gustav Eichert, Clausiusstraße 68

3.2 Apotheken im Kreis Tilsit-Ragnit

  • Reinhard und Kate Messerschmidt, beide Apotheker, Ragnit, Hindenburgstraße50
  • Eberhard Handtke, Apotheker, Altenkirch, Hauptstraße 22
  • Bruno Berger, Apotheker, Breitenstein
  • Walter Kirbach, Apotheker, Großlenkenau
  • Gustav Siebert, Apotheker, Schulen

4.    Tierärzte in Tilsit und im Kreis Tilsit-Ragnit

  • Helmut Gastell, Tierarzt, Tilsit, Angerpromenade 12
  • Kurt Neuber, Tierarzt, Tilsit, Fabrikstraße 53
  • Heinrich Henke, Veterinärrat/Kreistierarzt, Ragnit, Schützenstraße 56
  • Paul Osterode, Tierarzt, Ragnit, Hindenburgstraße 1
  • Friedrich Bley, Tierarzt, Altenkirch, Hauptstraße 2
  • Theodor Schoen, Tierarzt, Altenkirch, Hauptstraße 12
  • Bruno Massalsky, Tierarzt, Breitenstein
  • Paul Schwender, Tierarzt, Breitenstein

Quelle:

Helmut Fritzler, Leipzig
“Land an der Memel” Nr. 70 Seite 51

© 2006 Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V.
Dietmar H. Zimmermann
letzte Änderung am 03.07.2019

Papierhaus Kreide

In Ragnit, Schillen (Szillen), Breitenstein (Kraupischken), Altenkirch (Budwethen), Schmalleningken sowie Tilsit konnte man in der Buch- und Papierhandlung Kreide viele Artikel erwerben. Fast alle für die Schule benötigten Sachen (Hefte, Bücher, Federn, Tinte, Bleistifte, Lineale, Zirkel, Winkelmesser, Tafelkreide in vielen Farben), jedoch auch für das Büro oder Privat, waren vorhanden.
Im Hauptgeschäft Tilsiter Str. 2 (Adolf-Hitler-Str.) – ein zweites gab es später auf der Landrat-Penner-Str. 9, vormals Engels – war das Sortiment besonders umfangreich: Bücher, Leihbücher, Glas, Porzellan, Kristall, Grußkarten zu allen Festen, Spielwaren, Lederartikel, Koffer, sogar Musikinstrumente wurden geführt.
Gegründet wurde die Buchdruckerei Kreide vor 1880 von Max Kreide und seiner Ehefrau, geborene Schönfeldt.
Später entstand auch die „Kreiszeitung Tilsit-Ragnit” und der Verlag „Amtliches Kreisblatt Tilsit-Ragnit”. Bis 1920 war Ragnit die Kreisstadt des Landkreises Ragnit, der dann mit dem Rest des Landkreises Tilsit zu einem Kreis zusammengelegt wurde.
Mein Vater Emil Kreide, der Sohn von Max Kreide, volontierte bereits vor dem 1. Weltkrieg als Buchdrucker und Schriftsetzer bei der Druckerei Masuhr in Königsberg. Als verwundeter Unteroffizier aus dem 1. Weltkrieg entlassen, erwarb er dann beide Meistertitel, im graphischen Gewerbe „Schweizer Degen” genannt. Später wurde ihm sogar (ehrenhalber) der Buchbindermeister verliehen. Anfang der 20er Jahre richtete Emil Kreide neue Filialen ein. Ferner erweiterte er das Hauptgebäude in der Tilsiter Straße, baute einen sehr langen Flügel zum Schloßplatz mit Läden, darüber auch zwei Etagen mit Wohnungen.
Das Ladengeschäft wurde zum Schloßplatz verlegt (neben dem Arbeitsamt, später Wirtschaftsamt) und kam später stark vergrößert wieder in die Tilsiter Straße. In dem sehr großen Eckhaus, man kann sogar von einem Eckblock sprechen, befanden sich 7 Geschäfte sowie die Konditorei Fritz Intat mit dem Schloß-Cafe.

Am Schloßplatz gab es ein Frisörgeschäft, weiter einen Fleisch- und Wurstwarenbetrieb, die Dampf-Molkerei Adolf Lerbs – später Rose -, die Hutmacherei Rebelies (?), dann die Räume des Schloß-Cafes mit dem dazugehörigen Laden der Konditorei Intat, und weiter in der Tilsiter Straße, ein Tabakwarengeschäft sowie die Papierhandlung Kreide. Anschließend folgten die ebenfalls großen Räume eines Konfektionsbetriebes, den die beiden Schwestern Salomon betrieben.
Wegen der Judenverfolgungen mußten die beiden angesehenen Damen das Geschäft aufgeben. Es wurde vom Ehepaar Schwagereit weitergeführt.

Unter den Geschäften im Souterrain befand sich zur abfallenden Memelseite -ebenerdig – die Druckerei und Setzerei mit u.a. einer Linotype. Diese Setzmaschine konnte aus kochendem Blei eine ganze Zeile herstellen. Daneben gab es die Abteilung für Handsatz, wo die einzelnen Buchstaben aus dem Setzkasten gezogen wurden. Außerdem befanden sich dort die Zeitungsdruckmaschine und solche für Akzidenzdruck. Damit bezeichnet man im graphischen Gewerbe die Druckarbeiten, die nicht zum Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftendruck gehören, also Formulare, Anzeigen, Prospekte und sonstige Drucksachen. Dort wurden viele Familienanzeigen anläßlich Geburten, Hochzeiten, Todesanzeigen wie auch Danksagungen gedruckt.
Unterhalb des Schloß-Cafes mit mehreren Restaurationsräumen und dem Laden der Konditorei Intat befand sich die Backstube. Neben Torten, Brot und Brötchen wurde für das Cafe fast das gesamte Jahr über Speiseeis erzeugt. Die Tortenherstellung und Speiseeiserzeugung war umfangreich. In dem zum großen Eckhaus gehörenden Garten mit Springbrunnen, Laubengängen, Tanzfläche und überdachter Musikbühne haben viele Ragniter nicht nur Eis, Kaffee und Kuchen genossen, sondern auch das Tanzbein geschwungen.
Weiter gab es im Souterrain Räume zur Wurstherstellung und Räucherkammer. Relativ modern war die Heizungsanlage, die zentral sämtliche Fabrikationsräume, Läden und Wohnungen mit Wärme versorgte. Wegen der sehr vielen Räume sowie der kalten wie auch langen Winter war der Bedarf an Koks sehr hoch und der Kokskeller entsprechend groß.

Vom Schloßplatz aus gesehen befand sich über den Läden, also im 1. Stock, die Buchbinderei. Dort herrschte Kurt Tautorat; später bewohnte er mit seiner Frau Elfriede, geborene Janz, eine Wohnung im gleichen Haus. Frau Elfriede lebt heute mit ihrer Tochter Bärbel in Monheim-Baumberg bei Düsseldorf.

Bei Kurt Tautorat habe ich mich oft aufgehalten und manches von ihm gelernt. Auch war es in der Buchbinderei nicht so laut wie in der Setzerei bzw. Druckerei. Dennoch muß ich wohl einmal zu „Onkel Tautorat” sehr ungezogen gewesen sein. Mein Vater Emil erfuhr davon und bedeutete mir: „Mein Sohn, wenn es uns wirtschaftlich nicht schlecht geht auch deshalb, weil wir sehr tüchtige Mitarbeiter haben. Sei zu ihnen niemals ungezogen und frech”.

Eine weitere Lehre, die von vielen Ragnitern so nicht gesehen wurde, da sie den Hintergrund nicht kannten: Ich wollte mit meinen 9 oder 10 Jahren ein richtiges Fahrrad besitzen, ging also zu den Eltern. „Gern”, war die Antwort, „von uns erhältst du die Hälfte. Deinen Anteil verdienst du dir, indem du die von uns gedruckten DIN A5 Jahreskalender mit Bauernweisheiten, Horoskopen und Geschichtchen an den Haustüren zum Preis von 1,- RM verkaufst. Die Hälfte davon erhältst du zum Erwerb des Fahrrades”. Also zogen mein jüngerer Bruder Lienhard und ich von Klinke zu Klinke. So kam ich zu meinem Fahrrad. Viele Ragniter sahen das allerdings so: Dem Emil Kreide und der Käthe muß es so schlecht gehen, daß sie ihre Kinder sogar zum Klinkenputzen schicken. So die Wertung, sofern man nicht den erzieherischen Grund kannte.
Diese Lehre, selbst Geld zu verdienen, hat mir nicht geschadet. Während der Berlin-Blockade und danach studierte ich an der „Freien Universität” in Berlin-West. Die Eltern lebten in Leipzig, konnten mich also wegen der erheblichen Währungsdifferenz 4 bzw. 6 Ostmark zu 1,- DM (West) kaum unterstützen. Da Vater während der Messen in Leipzig seinen PKW mit Fahrer als „Behelfs-Taxi” stellen mußte, durfte ich ran. Es kam manchmal sogar der Fahrpreis in Westmark heraus, wenn die Gäste erfuhren, daß ich in Westberlin studierte. Das reichte jedoch nicht für Studiengebühren, Miete und Unterhalt.
Also arbeitete ich als studentische Hilfskraft, seinerzeit „Heinzelmännchen” genannt. Für 1,- DM (West) in der Stunde klopften wir Teppiche, trugen Briketts in die 1. bis 4. Etage oder fuhren Zeitschriften aus. Später war das Verdienen viel leichter: Wir Studenten durften neben anderen sonntäglich von 22.00 bis 6.00 Uhr Totozettel auswerten (1,25 DM/Std.). Bald wurde ich „Tischleiter”, erhielt 0,25 DM mehr und konnte sogar am Sonntagvormittag ca. 6 Stunden vorsortieren. Später als Gerichtsreferendar arbeitete ich bei einem Anwalt und danach bei einem Arbeitgeber-Verband als Arbeitsrechtler. Außerdem bezog jeder Referendar einen Unterhaltszuschuß.
Es reichte, den Repetitor (Akademiker, der Studenten oder Referendare auf das Examen vorbereitet) zu bezahlen und die Ehefrau zu ernähren. Beide juristische Staatsprüfungen legte ich dann beim Kammergericht Berlin ab.

Zurück zum Papiergeschäft in der Tilsiter Straße. Mit einigen Verkäuferinnen war Mutti Käthe die Seele des Geschäfts. Sie stand an der Kasse, packte Ware ein, fuhr auf die Messen – meist Leipzig – und belieferte auch die Filialen in Schulen, Breitenstein und Altenkirch. Erst im Jahr 1939 kam noch die Filiale Schmalleningken dazu.
Der Grenzort Schmalleningken – am Memelufer gelegener Zollhafen – kam wie der östliche Teil des Landkreises Pogegen zum Kreis Tilsit-Ragnit. Damit wurde – nach 1939 – der Kreis zum zweitgrößten Flächenkreis in Ostpreußen. Bei ihren Fahrten zu den Filialen gab sie auch „Fahrunterricht”. Sie war auch darin sogar eine Fachkraft: Mit 19 Jahren, also 1926, erhielt sie als zweite Frau in Ostpreußen den Führerschein.

Alfred (Fredy) Bremsteller, Sohn von Leo Bremsteller von der Landrat-Penner-Straße – Bruder der sehr hübschen Schwester Anneliese, die als Laborantin in der Zellstoff-Fabrik arbeitete – durfte mitfahren. Da Polizeikontrollen auf den Landstraßen fast nie stattfanden, durfte Fredy – obwohl noch minderjährig – auch ans Steuer. Darüber freut sich heute noch der in St. Catherines/Ontario lebende Alfred Bremsteller. Sein Bruder fiel im Krieg, und die nach Berlin verheiratete Anneliese Weber kam dort durch ein Unglück um.
1934 erkrankten Mutti Käthe, die 7jährige Tochter Christel, der 6jährige Eitel und der erst 4jährige Bruder Lienhard an Scharlach und Diphtherie. Christel, gerade in der Schule, verstarb an den Folgen, Lienhard kämpfte jahrelang mit offenen Wunden am Kopf, als Erwachsener wurde er fast 20mal wegen seiner Knochenmarksentzündungen (Osteomyelitis) operiert. Meine Mittelohrvereiterungen wurden gut behandelt. Nach einigen Tagen wieder zu Hause, kam bei mir ein Blutsturz. Unser Fahrer Hoch brachte mich in rasender Fahrt nach Tilsit, OP gut überstanden.

Bruder Lienhard kam 1941 in die „Freie Schulgemeinde Wickersdorf” bei Saalfeld/Thüringen Nach dem Krieg erlernte er in Leipzig das Schriftsetzergewerbe und erwarb dort mit 23 Jahren den Meistertitel. In Frankfurt/Main, später in Dietzenbach bei Frankfurt, gründete er den ALS – Verlag.
Dieser entwickelte Unterrichtshilfen für Kindergärten und Grundschulen für Werk- und Gestaltungsstunden. Erzieherinnen und Lehrerinnen konnten die dazu benötigten Materialien wie Pappe, Zeichenkarton, Klebstoffe, Leder sowie alles sonst Erforderliche ebenfalls von ihm beziehen.
Nach Lienhards Tod (1982) wurde der Verlag mit großem Erfolg von seiner zweiten  Ehefrau Ingrid weitergeführt. Jetzt wird der Verlag von Jürgen Hils geleitet, dem Ehemann von Lienhards Tochter Julia. Beide haben vier Knaben.

Im Ragniter Hauptgeschäft war also Käthe die Seele. Während des Krieges wurde es nach Tilsit verlegt. Leiterin der großen Filiale Tilsiter Straße in Ragnit wurde dann die noch sehr junge, tüchtige und hübsche Buchhalterin Erna Siering. Frau Erna S., jetzt Schneider, lebt heute in Buchholz (südlich von Hamburg). Ihren runden Geburtstag (80 Jahre) verbrachte sie nicht in Buchholz, sondern „floh” nach Wollin. Übrigens ist Erna Siering (Schneider) am 11. August 1923 geboren. Am gleichen Tag, allerdings 1893, kam Emil Kreide auf die Welt.
Vater Emil besorgte Aufträge für die Setzerei, Druckerei sowie Buchbinderei und Anzeigen für die Kreiszeitung. In seinen jungen Jahren war er aktiv im Ruderclub Ragnit, später ging er kegeln und schoß – vor allem mit Schrot – auf Hasen.
Wirtschaftlich ging es im Hause Kreide nicht immer gut. Einerseits wurden neue Filialen errichtet, um die erforderlichen Umsätze und Gewinne zu erreichen. Andererseits wurden Unsummen verschlungen durch die sehr starke Erweiterung des Gebäudes mit Wohnungen und Zentralheizung für den gesamten Eckblock. Durch die Wirtschaftskrisen in den 20er Jahren war die Arbeitslosigkeit in Ragnit besonders hoch. Sowohl die Zellstoff-Fabrik wie auch die Fa. Brüning (Kistenfabrik Ibis) mußten sehr viele Mitarbeiter entlassen. Die Kaufkraft fehlte. Dies wirkte sich ebenfalls auf die Landwirtschaft, nicht nur im Kreis, aus. Im Memelgebiet war es noch drückender. Nicht verwunderlich, daß die von der Industrie geprägte Arbeiterstadt Ragnit eine kommunistische Hochburg in Preußen war. Bei den freien Wahlen war ihr Stimmenanteil bis 1934 besonders hoch.

Hauserweiterung und Wirtschaftskrise mit der fehlenden Kaufkraft, auch durch die Arbeitslosigkeit, führten dazu, daß bei uns das Geld für Hypothekenzinsen, Steuern und AOK-Beiträge öfter knapp war. Daher mußte Mutter Käthe, auch wegen ihres Aussehens und Charmes, bei der Sparkasse (Direktor Ernst Bogwitz) wie bei der AOK (Direktor Otto Buttchereit) um Stundungen bitten. Jahrelang klebte der Kuckuck unter unseren Teppichen, Ledergarnituren und Eichenmöbeln. Aber es ging gut, u.a. dank der vielen Filialen.

Meine Grundschule war die Pestalozzi-Schule in der Landrat-Penner-Straße. Unsere Klasse unterrichtete das tüchtige Fräulein Vogt. Bei ihr zu lernen, machte mir großen Spaß. Ich besaß ihr Vertrauen, durfte sehr oft während des Unterrichts wegen abwesender Lehrerinnen in den unteren Klassen die Aufsicht führen.
1939 kam ich auf die Oberschule für Jungen in Tilsit. Wegen der Entfernung zu Tilsit zog ich in die Pension Dr. Luthe in der dortigen Sommerstraße zu weiteren 7 Jungen und 3 Mädchen. Obwohl es mir dort gefiel, rief mich Ostern 1942 mein Bruder auf das herrliche Internat in Thüringen. Später folgten uns dorthin die jüngeren Ragniter Bruno May, Sohn von Gerda May geb. Hitziggrath, vom Kino May, Erika Dankschat sowie Hannelore und Dieter Matzukat.

Bereits im Januar 1944 wurden alle Schüler der Jahrgänge 1927 und 1928 zu den Luftwaffenhelfern nach Leuna/Merseburg – ich mit 15 1/2 Jahren – eingezogen. Unsere leichte Flak 3,7 cm lag sehr nahe am Benzin-Hydrierwerk. Die Stellung war in der Saaleaue. Wegen des Grundwassers waren unsere Ein-Mann-Löcher äußerst flach. Trotz vieler Bomben und Flaksplitter keine Verluste. Nach Arbeitsdienst im Januar 1945 wurde ich Luftnachrichten-Soldat in Berlin. Am 17. April wurden wir im Alten Oderbruch vor Berlin von den Sowjets eingekesselt. Der zweite Infanterie-Einsatz war bei Fehrbellin (1675 Sieg des Großen Kurfürsten über die Schweden).
Am 3. Mai 1945 ging es mit Booten der Wehrmacht und der Feldgendarmerie – weil minderjährig – zum westlichen Ufer der Elbe in amerikanische Gefangenschaft. Anfang Juni wurde ich von den Briten zur Arbeit in der deutschen Landwirtschaft „vorläufig” entlassen. Am 20. Juli 1945 (11 Tage bevor ich mein 17. Lebensjahr vollendet hatte) ging ich aus der amerikanischen Zone über die Grenze in das von den Sowjets besetzte Thüringen zurück auf das Internat.
Dort befand sich nicht nur mein Bruder Lienhard, sondern auch Mutti Käthe. Vater Emil kam ein paar Tage später wieder aus Berlin zurück. Mein Grab hatte er allerdings vergeblich gesucht.
Mit der Flucht aus Ostpreußen hatten die Eltern großes Glück. Die nach Tilsit verlegte Druckerei wurde von den Sowjets ausgebombt. Um neue Druckerei- und Setzmaschinen „im Reich” kaufen zu können, durften sie noch im August bzw. Oktober 1944 – allerdings kaum mit Gepäck – aus Tilsit reisen. Im Dort unseres Schulinternates bewohnten sie ein sehr kleines Zimmer, waren jedoch gesund und wohlbehalten.

Mit 19 Jahren bestand ich das Abitur, Russisch „sehr gut”. Deshalb durfte ich trotz meiner bürgerlichen Herkunft mit dem Slawistik-Studium in Jena anfangen. Lieber hörte ich jedoch Jura und ging dann während der Blockade zur Luftbrückenzeit im September 1948 nach Westberlin.

Übrigens: Nicht nur meine Mutter machte mit 19 Jahren ihren Führerschein. Ich erhielt ihn sogar mit 15 Jahren und 5 Tagen. Anlaß: Vater sah voraus, daß, wenn ich fast noch als Kind Soldat werden sollte, dann eventuell als Fahrer eines Fahrzeuges und nicht Infanterist. Um eine Ausnahmegenehmigung zu erreichen, wurde mein Wohnsitz pro forma nach Breitenstein verlegt. Für Breitenstein war das Landratsamt in Tilsit zuständig. Mit Hilfe des Kreisoberinspektors Walter Führer erhielt ich als „Breitensteiner” die Ausnahmegenehmigung. Seine Tochter Charlotte Führer traf meine Mutter in Lübeck, die andere Tochter Maria besuchte ich 1946 in Weimar.

Bereits 1946 pachtete Vater Emil eine Druckerei in Groitzsch bei Leipzig, später 1948 eine andere in Leipzig. In dieser Zeit trennten sich meine Eltern. Vater heiratete in Groitzsch, Mutter wurde nach seinem Tod die vierte Frau des Witwers Otto Buttchereit, dem früheren Leiter der AOK Ragnit, später Königsberg. Vater starb 1971, also noch zu DDR-Zeiten in Leipzig. Daher hatten wir Erben keine Ansprüche aus dem Lastenausgleich für das Grundstück Tilsiter Straße (Einheitswert 1939 250.000 RM). Mutti Käthe lebte noch bis 1992 in Frankfurt.
Vaters einzige Schwester Meta hatte Karl May geheiratet. Beide betrieben bis zu seinem Tode auf der Kurischen Nehrung in Schwarzort das Hotel May. Ihr gelang auch die Ausreise aus Ostpreußen. Sie verstarb in Rudolstadt/Thüringen In Schwarzort haben wir immer sehr lange Ferien verlebt.

Mutter Käthe, geboren am 27. Januar – also zu „Kaisers” Geburtstag – stammte aus Tilsit. Ihr Vater Ernst Metscher war bereits vor dem 2. Weltkrieg in Tilsit verstorben. Ihre Mutter, Auguste Metscher, war eine geborene Laser. Deren Vater war deutscher Eisenbahner, der in Kiew half, die russische Eisenbahn mit zu errichten. Deshalb blieb die Familie Laser in Kiew, bis Oma Metscher 14 Jahre alt war. Sie beherrschte so perfekt russisch, daß sie 1945 und 1946 in Schwarza/Saale noch Russisch unterrichtete. Ihr Geburtstag wird mir stets in Erinnerung bleiben.
Am 24. August flogen nämlich die in sehr großer Anzahl auf den Memelwiesen versammelten Störche nach Süden in ihre Winterquartiere. Mutters ältester Bruder Hans Metscher und seine Frau Marianne, lange in Elbing lebend, kamen mit den vier Töchtern und einem Sohn einigermaßen heil aus der Heimat. Hans Metscher und Marianne beendeten ihr Leben in Düsseldorf.

Nach Mutti Käthe wurde Tante Lolla, also Charlotte Metscher, geboren. Sie hat auch oft in unserem Geschäft in Ragnit gearbeitet, überstand das Kriegsende gut als Luftwaffenhelferin. Sie heiratete in Hannover und verstarb auch dort.
Als nächstes Kind folgte Heinz Metscher, der in Ragnit Dentist war. Er heiratete Elfriede, eine der Sperlings-Töchter von der Zellstoffabrik. Er blieb im Krieg, Elfriede flüchtete mit zwei Jungen nach Dänemark und lebt heute in Dessau.
Die Jüngste der fünf Metschers war Gertrude, Tuta genannt. Sie heiratete den Bankbeamten Kurt Urban, lebte mit ihm in Dresden, wurde dort ausgebombt und erlebte mit ihren vier Kindern das Kriegsende in Goslar. Sie starb später in Hannover.
Im Jahr 1954 heiratete ich Ingrid Peterson aus Berlin. Unser Sohn Olaf wurde 1956 geboren, verstarb mit 36 Jahren als Taxiunternehmer in Berlin. Betrunkene sowjetische Soldaten hatten einen BMW gestohlen, wurden von der Polizei verfolgt. Die Sowjets fuhren mit ca. 140 km/h in sein Taxi. Er hinterläßt einen Sohn, Aaron, der mit 14 1/2 Jahren bereits 1 ,86 m groß ist.
Sohn Uwe, 1958 auch in Berlin geboren, hatte mit 16 Jahren einen schweren Mopedunfall, dem drei Kopfoperationen folgten. Er hat drei Kinder und lebt in Krefeld.
Unsere Tochter Antje, 1967 in Zürich das Erdenlicht erblickt, heißt nun Rinschede und lebt mit ihrem Mann Bernd und der 4 1/2jährigen Tochter Anke in Nettetal/ Lobberich, Kreis Viersen, an der niederländischen Grenze (nahe Venlo).
Gearbeitet hatte ich bei verschiedenen Verbänden in Berlin, Düsseldorf, Zürich, Bonn und die letzten fast 20 Jahre bei der Landesverkehrswacht NRW wieder in Düsseldorf. Aus Altersgründen gab ich meine Zulassung als Rechtsanwalt zurück. Wöchentlich bin ich 5-6 Mal auf dem Golfplatz. Zum Jahresanfang auf Mallorca, sonst hier in Düsseldorf-Neuss anzutreffen.
Heimat und Besitz haben wir verloren, Gesundheit und Leben behalten. Das Schicksal und das Leid vieler Landsleute auf der Flucht, vieler Soldaten und Zivilisten sowie den Verfolgten in den KZ-Lagern ist uns erspart geblieben. Dafür danke ich Gott. Meine Heimat behalte ich in bester Erinnerung, möchte jedoch nicht mehr nach Ragnit fahren, weil mein Geburtshaus Tilsiter Str. 2 dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Eitel Kreide, Düsseldorf

Autor : © 2004 Eitel Kreide
Quelle : “Land an der Memel” Nr. 74 Seite 82ff

© 2004 Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V.
letzte Änderung am 05.06.2019

Schmieden im Kreis Tilsit-Ragnit

Es gab in unserem Kreis Tilsit-Ragnit fast in jedem größeren Ort eine Dorfschmiede für Hufbeschlag und Wagenbau. Der Chef davon wurde scherzhafterweise ja auch „Kobbelschuster”, der die Stuten (Kobbeln) mitbesohlen mußte, genannt. Die dafür benötigten Hufeisen wurden meist auch selbst geschmiedet, oder die Firma „Weltz & Neitz” – aus Tilsit hat sie mit dem Postbus geliefert. Im Winter mußten diese ja auch noch bearbeitet werden, d. h. gelocht, mit Gewinde versehen Stollen eingedreht, und erst dann wurden sie den Hufen angepaßt und beschlagen, wie man es nannte.
Die Schmiede waren auch Wagenbauer. Sie fertigten sämtliche Eisenteile an Kutschen, Ackerwagen und auch Jagdwagen an, wenn der Stellmacher die Holzarbeiten gefertigt hatte. Es mußte sehr darauf geachtet werden, daß keine Brandmale auf den Holzteilen zu sehen waren. Mit den Winterfahrzeugen, wie Rodelschlitten, wurde gleichermaßen verfahren. War dann die Arbeit getan, und sie war gut, wurde sie auch dementsprechend bezahlt. War der Schmied gut, kamen die Leute sogar aus den Nachbardörfern und nahmen einige Kilometer mehr in Kauf.

Schmiede im Kreis waren richtige Alleskönner, sie reparierten auch Fahrräder, Motorräder, Autos usw.. Spezialwerkstätten gab es ja nur in unseren Kreisstädten. Mit den Arbeiten an Fahrrädern und Motorrädern wurden meist nur die Lehrlinge oder jüngere Gesellen betraut; sie konnten einen Teil des Geldes sogar in die eigene Tasche stecken! Für ein Einspeichen eines Fahrrades erhielt man damals 1,- RM (ohne Material).

Eine Schwerarbeit im Schmiedeberuf war auch das sogenannte „Reifenziehen”, wo die Reifen erhitzt und auf drei Felgen der entsprechenden Räder aufgezogen wurden. Man benötigte dazu bestimmte Krampen (Hacken), die mit den entsprechenden Stangen (2 m) auf die Felgen der Räder aufgezogen wurden, anschließend sofort ins kalte Wasser zum Abkühlen. In der Erntezeit fielen auch viele Reparaturen an Mähmaschinen und Dreschmaschinen an. Sie dauerten manchmal bis in die späte Nacht, damit die Maschinen am nächsten Morgen wieder einsatzbereit waren. Ein guter Schmied fertigte auch Ackergeräte an und reparierte sie natürlich auch. Schwerstarbeit war dann das Vorlegen der Scharen von den Pflügen, die angeschweißt werden mußten, wobei man immer ins Schwitzen kam.
Ein guter Hufschmied mußte nicht nur Pferde beschlagen, er befaßte sich auch mit dem Auswirken von Kühen, Kälbern und Fohlen, also Pediküre für die Tiere. Bei den Pferden war es manchmal sehr schwierig, da sie nicht „standen”, wie wir zu sagen pflegten. Sie wurden dann eine halbe Stunde rückwärts auf dem Sturzacker geritten, bis sie ins Schwitzen kamen. Dann konnte man meist problemlos an die Hufe herankommen. Jungtiere die eingezäunt waren, mußten mit der Leine (Lasso) eingefangen werden, bis sie die Prozedur des Wirkens über sich ergehen ließen. Manchmal kam auch die „Bremse” zum Einsatz, eine 30 cm lange Holzleiste mit einer Stricköse versehen, die auf die Nase aufgesetzt und nach Bedarf angedreht wurde, verfehlte aber nicht ihre Wirkung, wenn es auch für die Tiere meist schmerzhaft war.

Weiterhin bauten die Schmiede auch Kartoffeldämpfer, damit die Tiere nicht rohe Produkte fressen mußten. Hierzu waren immer elektrische Schweißanlagen nötig, die zur modernen Schmiede gehörten. Der moderne Schmied baute auch Tränkeanlagen in den Ställen der Bauern ein, wobei die Tiere sich selbst bedienen konnten, was eine gewisse Gewöhnung erforderte. Zur Ausbildung eines Beschlagschmiedes gehörte auch immer die Fachschule, sie wurde meist an Sonntagen durchgeführt, wobei die Lehrlinge in irgendeiner Schule am Vormittag zusammenkamen, die ein Tierarzt leitete. Wurde in der Praxis mal ein Huf „vernagelt”, was höchst selten vorkam, dann lahmte das Pferd, es war für den Schmied keine gute Visitenkarte, aber es wurde mit einigen Kniffen auch schnell behoben. Bei normalen Hufkrankheiten mußten manchmal die Hufe mit Taueisen versehen werden; es waren Strickeinlagen in den Hufeisen, damit die Pferde wie auf Samtschuhen laufen konnten und die Heilung schneller vonstatten ging. In der Hoffnung, einen kleinen Einblick in die vielseitige Arbeit eines Dorfschmiedes gebracht zu haben, schließt mein Bericht. Leider sind die Schmieden fast ausgestorben, da immer weniger Pferde zum Einsatz kommen, denn die Technik hat auch auf dem Lande Einzug gehalten.

Autor :   © 2007 Emil Drockner, Berlin

 Quelle : Heimatrundbrief “Land an der Memel” Nr. 80/2007 Seite 55

© 2007 Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V.
letzte Änderung am 05.06.2019

– Wege von Königsberg nach Ragnit –

– auch Postwege –

Ursprünglich waren die Wasserwege über das Haff, die Memel und den Nemonienfluß die wichtigsten Verbindungen nach Ragnit. Obwohl die in der Wildnis lebenden Menschen ihre Pfade kannten, entwickelten sich die Landwege durch den Grauden erst ab 1354. Ordensritter und Abenteurer bahnten unter Mithilfe der Leitsleute (Wegführer) immer wieder neue Wege durch den Grauden. So entstanden die folgenden Wege zwischen Pregel und Memel:

  1. Der älteste Weg ab 1354 führte von Insterburg über Kraupischken nach Ragnit. Ab etwa 1630 verlor Ragnit an Bedeutung, so daß der Weg nun nach Tilsit führte. Dies ist auch der älteste Postweg von Königsberg nach Ragnit.
  2. Die Königsberger Landstraße führte etwa ab 1630 von Labiau über Skaisgirren, Schillupischken, Taurothenen, Raukothienen bzw. von Schillupischken über Brettschneidern und Raukothienen nach Tilsit, Ragnit und Memel. Dieser Weg diente etwa ab 1700 auch als Postweg, zunächst für reitende Post und später für fahrende Post. Pferde und Kutscher mußten von den Bauern gestellt werden, so etwa in Schillupischken und Taurothenen.
  3. Der 43. Ordensweg führte nach der Beschreibung von Labiau über Mehlauken, Parwischken, Grudszen, Lieparten, Taurothenen und über die Tilse nach Ragnit.
  4. Die Skaisgirrer Landstraße, die spätere Reichsstraße 138, führte mit dem Ausbau ab 1886 von Wehlau über Skaisgirren, Schillkojen, Sandlauken nach Tilsit und Ragnit. Ein erster Weg, vermutlich ab 1639, verlief über Heinrichswalde nach Tilsit. Nach dem Ausbau entwickelte sich dieser Weg zur Hauptstraße. Ab wann er auch zur Poststraße wurde, ist nicht bekannt. Um 1837 gab es in Kellmienen bereits eine Post- und Umspannstation.
  5. Ab 1630 entstand eine weitere Verbindung von Insterburg über Seßlacken und Schillen nach Tilsit.
  6. Um 1400 gab es einen Winterweg von Labiau am Haff und am Nemonienfluß entlang zur Memel bei Kalwen und weiter nach Tilsit und Ragnit, – vermutlich im Verlauf des 10. Ordensweges von 1393 –

Bis um 1800 waren die meisten Wege bei Tau- und Regenwetter nicht befahrbar.
Obwohl Ragnit als Ordenssitz – die ursprüngliche Heidenburg Ragnit entstand 1277 – der älteste Ort an der Memel war, erlangte Tilsit mit Verleihung des Stadtrechtes ab 1552 (1370 stand hier noch eine verwüstete Schalauerburg) eine größere Bedeutung. In Tilsit konnte man die Memel leichter überqueren, so daß hier die Haupthandelsstraße zum Norden entstand. Mit dem Brückenbau (bei den ersten Brücken handelte es sich um schwimmende Holzbauten) entwickelte sich Tilsit zum Hauptverkehrspunkt nach Riga und Petersburg.

Autor :  © 2007 Botho Eckert, Bad Salzuflen
Quelle :  Heimatrundbrief “Land an der Memel” Nr. 81/2007 Seite 40

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letzte Änderung am 05.06.2019

Tilsiter Käse aus Schillen

Von Albrecht Dyck
Als die Tilsiter Käserei in Schilllen/Ostpr. von Johannes (Hans) Dyck übernommen wurde, schrieb man das Jahr 1928. Seit dem firmierte sie unter dem Namen: Dampfmolkerei Szage, Inh. Johannes Dyck. In dem damaligen Szillen existierten zwei Molkereien, auf der linken Seite (vom Bahnhof aus gesehen) die Molkerei Waller und auf der rechten Seite die Molkerei Dyck. Beide Molkereien hatten es im Laufe der Jahrzehnte in der Spitze der in den Sommermonaten alltäglich zweimaligen Milchanlieferung, auf insgesamt 25.000 Ltr./Tag gebracht. Natürlich wurde in den Molkereien, neben anderen Milchprodukten, bevorzugt Tilsiter Käse, vollfetter Art, hergestellt.

In Land an der Memel, Ausgabe Nr. 86 ist es in einem Beitrag von Dr. Carl-Ludwig Riedel interessant zu lesen, dass die Frau, die den Tilsiter Käse erstmals entwickelte, vermutlich in Szillen, später Schillen, heute Zilino im früheren Kreis Tilsit-Ragnit geboren ist.
Als geborene Klunk, (seit 1822 verheiratet mit August Westphal) erblickte sie das Licht der Welt um 1790 und verstarb um 1845. Sie entwickelte den Brioler (Brijolehner) Käse weiter, einen damals 0,6 bis 0,7 kg schweren Weichkäse nach Limburger Art. Dieses geschah auf dem Gut Brijohlen bei Tilsit, wie der Verfasser schreibt, durch Vereinheitlichung der Herstellungsvorschriften der Gegend; damals noch als unverheiratete Wirtschafterin, Frl. Klunk, im Jahre 1803. Das war die Geburtsstunde des ungepressten Tilsiter Käses mit standardisierten Abmessungen in Form und Gewicht.

Vor der Käserei Dyck in Schillen
In der Mitte: LKW Fahrer Fritz Pitrowski, Magdalene Goldap, Frl. Erna und Frl. Anni, zwei Käsereiangestellte, ein Fronturlauber.


“Molkereigehilfen” bei der Herstellung von Tilsiter Käse

Hier eine kurze Beschreibung der Herstellung des Tilsiter Käses
(heimisch in der Tilsiter Niederung Ostpreußen)

Charakteristisch:
Runde Laibe von 4 kg, 25 cm Durchmesser,
Rinde schmierig (Rotschmiere), ungepresst.
Ebenfalls wird der Tilsiter Käse auch in Brotform hergestellt.

Einlaben der Kesselmilch:
Die leicht vorgereifte Milch wird auf 32° C erwärmt, auf den gewünschten Fettgehalt eingestellt und mit Labpulver (enthalten auch in Kälbermägen) versetzt. 1g Labpulver bringen 100 Ltr. Milch bei 32° C in ca. 30 Minuten zur Süßgerinnung.

Auskäsen:
Nach 35 Minuten beginnt das Auskäsen. Die nun dick gelegte Milch wird mit dem Käseschwert in etwa 8 cm große Würfel geschnitten. Nach dem Verziehen mit einer Schufe erfolgt dann die Bearbeitung des Bruches mit der Käseharfe (etwa 5 Minuten) auf Walnussgröße. Dann wird etwas Molke abgefüllt. Es erfolgt eine weitere Bearbeitung auf Bohnengröße und dann noch einige Minuten mit dem Käsequirl auf Erbsengröße. Schließlich wird dem Käsebuch, durch langsames Erwärmen auf 40° C unter tüchtigem Umrühren (20 Minuten) , weiter Molke entzogen (vollfetter Käse). Der Käsebruch zeigt dann beim Zusammendrücken ein festes Korn, klebt aber nicht zusammen wie beim Holländer Käse.

Formen des Bruches:
Nun wird der Bruch in Formen mit Seitenlöchern geschöpft, nach dem Ablaufen der Molke eingetucht und darauf in Abständen mehrere Male gewendet.

Behandlung:
Am Tag nach dem Auskäsen geht’s dann für 2 bis 3 Tage in ein 20%iges Salzbad, bei einer Temperatur der Salzlake von 12° bis 15°C. Im Reifungskeller, bei 15° C und 90 – 92 % Luftfeuchtigkeit, verweilt nun der Käse und wird alle 2 Tage, später alle 3 Tage mit einem feuchten Tuch gewischt und gewendet. Die Bretter, auf denen der Käse liegt, sollten trocken gehalten werden.

Ausbeute:
100 Ltr. Milch ergeben 9 kg reifen Käse (vollfett), dabei ist ein Gewichtsverlust, von der Herstellung bis zur Reifung, von 25 % zu verzeichnen.
Die heutige Produktion von Tilsiter Käse erfolgt überwiegend automatisch in Käsefertiger, was natürlich nicht mehr so arbeitsintensiv ist wie zu meiner Zeit.

Autor : © 2011 Albrecht Dyck Molkereimeister seit 1956 Molkereimeisterschule Hameln
Fotos:  Albrecht Dyck
Quelle :  Heimatrundbrief “Land an der Memel” mit „Tilsiter Rundbrief“ Nr. 90/2012  Seite  74

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Auszug aus dem Mitglieder-Verzeichnis des Reichsinnungsverbands
des Bäckerhandwerks

Die Innung Tilsit, zu der die Stadt Tilsit und der Kreis Tilsit-Ragnit gehörten hatte 1936 91 Mitglieder

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letzte Änderung am 02.02.2024