Geschichte

Die Pruzzen
Die archäologischen Funde haben ergeben, daß das ostpreußische Gebiet vom Ende der Jungsteinzeit bis zum Mittelalter durchgehend von einer Kultur besiedelt war. Dies bedeutet, daß die altpreußische Bevölkerung von jeher in diesem Gebiet gesiedelt hat. Die Pruzzen gehörten zum baltischen Zweig der Indo-Germanen. Das Siedlungsgebiet der Pruzzen zog sich von der unteren Weichsel bis zur Memel hin und gliederte sich in elf Landschaften.
Der römische Schriftsteller Tacitus erwähnte zuerst in seiner Germania 100 n. C. den hier lebenden Volksstamm als Aestier. Weitere Beschreibungen folgen erst rund 900 Jahre später als Adalbert von Prag mit seiner Heidenmission in dieser Gegend beginnt, bei der er von den Pruzzen erschlagen wurde und von Brun von Querfurt, der allerdings ebenfalls 1009 erschlagen wurde. Erst mit der Christianisierung Livlands kommt auch die Pruzzenmission wieder in Gang. Dem Abt Christian gelingen hierbei im Jahre 1210 erste Erfolge. Nähere Beschreibungen folgen dann erst zur Ordenszeit.
Die Pruzzen werden als groß und blond beschrieben, die preußische Sprache stirbt erst im 17. Jh aus. Über die Gebräuche ist bekannt, daß ein Mann bis zu drei Frauen heiraten konnte, überzählige Mädchen wurden umgebracht, ebenso wie Kranke und Behinderte. Mord hatte Blutrache zur Folge. Die Kleidung wird als einfach und schlicht beschrieben. Ein enger Rock aus Tuch oder Leinwand, von einem Gürtel gehalten, reichte bis zum Knie. Darunter wurden Beinkleider getragen. Im Winter trugen sie eine Pelzmütze. An den Füssen Leder- oder Bastsandalen.
In früherer Zeit lebten sie in Schilfhütten, später in Holzhütten, ihre Führer teilweise in Steinburgen. Dörfliche Gemeinschaften sind im Gegensatz zu Städten bekannt. Sie lebten hauptsächlich vom Ackerbau, aber auch Fischfang, Fleisch ist rar.
Tote werden verbrannt und die Asche in einer Urne in einem Grabhügel beerdigt. Die Pruzzen hatten einen Naturglauben. An der Spitze der Hierarchie standen die drei Hauptgötter Perkunos, Patrimpe und Pekollos. Perkunos war der Gott des Donners und des Feuers, vergleichbar mit dem germanischen Thor. Sein Wohnsitz war das heilige Romowe, wo auch ein Bildnis von ihm stand. Er hatte ein zorniges Antlitz mit feurigem Gesicht, das von einen krausen Bart umrahmt war. Patrimpe war der Kriegsgott, dargestellt als Jüngling, dessen Kopf mit einem Kranz Getreideähren geschmückt ist. Ihm wurden auch Menschenopfer dargebracht. Pekellos, ein düster dreinblickender Greis, war der Gott des Verderbens und des Todes. Ein weiterer freundlicher Gott war Kurche, der für Speisen und Trank zuständig war. Weiterhin gab es noch Untergötter wie Okopirn, der für Winde zuständig war, Bangputtys, der Wellengott, Puskaitis, der Wald-und Baumgott.
Als weibliche Gottheiten sind zu nennen, Jawinne, die die Saat keimen ließ, Melletele, die segensreich in Gärten und Auen wirkt. Weniger segensreich waren Giltine, die einen schmerzvollen Tod bringt, Magilla, die qualvolle Strafen verhängte, Laumene, die die Leute piesackte und unschuldige Kinder entführte. Weiterhin gab es noch Schutzgeister und auch Tiere konnten göttliche Kräfte haben. Es gab zur Verehrung der Götter eine Priesterklasse.

Autor :       © 2007

Quelle :  Verein Ost-/Westpreußen – Gruppe Augsburg – Nachrichtenblatt 4/2007

© 2008 Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V.
letzte Änderung am 10.06.2019

 

Der Kreis Tilsit-Ragnit

Der Kreis Tilsit-Ragnit wurde nach Abschluß des Friedensvertrages von Versailles im Jahre 1920 gebildet.
Zunächst ein Blick zurück:
Es ist nicht bekannt, wann ein Mensch zum ersten Mal das Gebiet unserer Heimat betreten hat. In der ausgehenden Steinzeit dürften sich an den Ufern ehemaliger Seen und Flüsse nomadisierende Renntierjäger aufgehalten haben. Darauf deuten gefundene Feuersteinsplitter, Jagdwaffen, Rentier- und andere Tierknochen hin. Funde von Steinbeilen lassen darauf schließen, daß in den späteren Perioden der Jüngeren Steinzeit, die um 4000 v. Chr. begann, dort Menschen jagten oder auch siedelten. Von Christi Geburt bis zum Auftreten des Deutschen Ordens war unser Kreisgebiet lückenlos, aber dünn besiedelt. Ragnit gelangte durch den Bau einer Ordensfeste und der Bildung einer Komturei zu besonderer Bedeutung. Von diesem Punkte wurde das umliegende Land auch auf der anderen Seite des Memelufers systematisch besiedelt. Die Ordensburg wurde erst später in den Jahren 1397 1404 errichtet. Der Kreis Tilsit – Ragnit war der Stammbereich der altpreußischen Schalauer. Archäologische Funde lassen die Anwesenheit von Litauern in jener Zeit nicht erkennen. Dieses Gebiet war bis zum Ende der Kämpfe mit den damals noch heidnischen Litauern und deren Bekehrung im Jahre 1386 nur dünn bevölkert. Im Jahre 1422 schloß der Orden mit Litauen Frieden. Die dort vereinbarte Grenzregelung blieb bis zum Jahre 1920 bestehen. Im 15. Jahrhundert setzte eine neue Epoche der Siedlungstätigkeit ein.
Nach dem Anschluß Litauens an Polen im Jahre 1569 setzte die Unterdrückung der litauischen Bauern durch den Adel ein. Das führte zur Flucht vieler litauischer Bauern nach Preußen. Sie waren in Preußen frei.

Der Marktflecken Tilsit erhielt 1552 Stadtrechte. Die städtische Bevölkerung war überwiegend deutsch.
In den Jahren 1708 bis 1710 wütete besonders im Nordosten Ostpreußens die Pest und entvölkerte ganze Landstriche. Siedler aus den verschiedensten Gebieten Deutschlands, vertriebene Reformierte aus Frankreich am Ende des 17. Jahrhunderts sowie vor allem rd. 15.000 Salzburger, von denen zwar nur ein kleiner Teil in die damaligen Kreise Tilsit und Ragnit, noch weniger in das Gebiet nördlich der Memel kamen, glichen einen Teil der Verluste aus. Auch Schweizer und Franzosen fanden im 18. Jahrhundert den Weg nach Ostpreußen.
Für das Wirtschaftsleben in den Städten Ragnit und Tilsit waren vorwiegend Handel und Industrie charakteristisch. Das Landschaftsbild des nordöstlichen  Ostpreußen, also auch des Kreises Tilsit-Ragnit, wurde im wesentlichen durch den Wechsel der Getreidefelder, Wiesen und Weiden bestimmt, ebenso durch die verschiedenen Formen der Siedlungen, gleich ob man dabei auf die Marktorte, die Kirchdörfer oder die Dörfer überhaupt sein Augenmerk richtete.
Die friedliche Entwicklung wurde -abgesehen von einer Besetzung durch russische Truppen in den Jahren 1757 bis 1782 ohne größere Schäden und Behinderungen- durch den Krieg Napoleons gegen Preußen im Jahre 1807 unterbrochen. Von 1813 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 herrschte Frieden im Lande und führte zu einer steten Aufwärtsentwicklung. Damals existierten die Landkreise Ragnit und Tilsit nebeneinander. Die Stadt Tilsit war im Jahr 1895 zur kreisfreien Stadt erhoben worden.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde das nördliche Ostpreußen teilweise von russischen Truppen im Jahre 1914 besetzt. Während der Kämpfe waren große Schäden an Gebäuden, Sachwerten und durch Viehverluste in den Kreisen Ragnit und Tilsit entstanden. Sie konnten bis zum Ende des Krieges nicht beseitigt werden. Besonders schwer waren auch die Kreisteile nördlich der Memel betroffen. die durch die Abtrennung aufgrund des Versailler Vertrages an Litauen fielen. Die Landkreise Tilsil und Ragnit waren jeder für sich nicht lebensfähig. Nach längeren  Überlegungen wurden sie in einen Kreis zusammengefaßt. Dabei wurden einige Dörfer und Gutsbezirke der kreisfreien Stadt Tilsit zugeordnet. Am 1. September 1922 übergab der Kreis Niederung die Kirchspiele Argenbrück und Königskirch dem Kreis Tilsit – Ragnit, der nunmehr eine Fläche von 1.100,45 qkm besaß. Schwierig gestaltete sich die Entscheidung um den Sitz der Kreisverwaltung. Am 5.Mai 1922 bestimmte der Preußische Landtag mit dem sog. Ostmarkengesetz Tilsit zum  Verwaltungssitz des Kreises.

Erster Landrat des neuen Kreises wurde am 15. August 1922 Dr. Penner. Er hatte dieses Amt bis zum 7. Januar 1933 inne. Sehr viel Mühe verwendete Dr. Penner während seiner Amtszeit darauf, das durch die Auflösung des alten Kreises verlorengegangene Vertrauen wieder herzustellen. Sein Nachfolger wurde Dr. Brix, der sein Amt bis zur Flucht 1944 mit sehr viel Sachverstand und Übersicht wahrnahm.
Der Kreis hatte im Jahre 1933 rund 57.000 Einwohner, davon die Stadt Ragnit rund 10.000 Bewohner. Von den 5.525 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben des Kreises waren 4.591 unter 20 ha groß und 797 weitere Betriebe bewirtschafteten weniger als 100 ha. Nach der Rückkehr des Memelgebietes zu Deutschland im März 1939 kam der Hauptteil des Kreises Pogegen und zwar eine Fläche von 697,11 qkm (von 928,09 qkm) zum Kreis Tilsit – Ragnit, der damit auf 1.797,56 qkm mit 84.648 Bewohnern (nach dem Stande vom 17. Mai 1939) anwuchs.
In den Kriegsjahren 1939 bis September 1944 traten keine Kriegsschäden ein. Die Kreisverwaltung konnte in dieser Zeit verhältnismäßig ungestört arbeiten. Im September 1944 näherte sich der Krieg dem Kreisgebiet. Im Oktober 1944 drangen die russischen Truppen bis zum nördlichen Ufer der Memel vor. Ende Oktober 1944 nahm die russische Artillerie Tilsit unter Feuer. Die Bevölkerung der Stadt wurde abtransportiert, die bäuerliche Bevölkerung fuhr in geschlossenen Trecks nach Labiau und Friedland. Die Räumung des Kreises durch die Zivilbevölkerung verlief dank der guten Planung der Kreisverwaltung in geordneten Bahnen.

Die russische Offensive am 13. Januar 1945 leitete das Ende des Kreises Tilsit – Ragnit ein. Die restliche Bevölkerung des Kreises, die nicht schon im Oktober 1944 ihre Heimat verlassen mußte, konnte gerade noch rechtzeitig vor den anrückenden russischen Verbänden fliehen. In der Nacht vom l8.zum 19. Januar 1945 wurde Tilsit geräumt. Ein oder zwei Tage später wurde das Kreisgebiet vollständig von russischen Truppen besetzt.

In den ersten Nachkriegsjahren senkte sich der Eiserne Vorhang über unsere Heimat. Nur wenig erfuhr man von dem Geschehen in unserem Heimatkreis. Das änderte sich erst ab 1987. Seit Beginn des letzten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts wurde es wieder möglich, das Kreisgebiet zu besuchen. Viel wurde durch den Krieg zerstört, aber viele Bauernhöfe verfielen oder wurden in den Nachkriegsjahren abgerissen. Die Landwirtschaft wurde auf Großwirtschaft umgestellt. bäuerlichen Besitz gab es nicht mehr. Die in das frühere Kreisgebiet umgesiedelte russische Bevölkerung arbeitete auf Sowchosen. Das Land versteppte zu einem großen Teil, weil in den Zwischenjahren die Dränagen (Entwässerung des Bodens durch Röhren und Gräben) zusammengebrochen waren. Selbst die noch nicht zerstörten Gebäude weisen zu einem großen Teil so tiefgreifende Schäden auf, daß nur eine schnelle Renovierung den gänzlichen Verfall stoppen könnte. Dazu fehlen aber offensichtlich den russischen Behörden die finanziellen Mittel

Autor : © Hans Bender  –  Quelle :  “Land an der Memel” Nr. Nr. 62/1998

(zusammengestellt aus verschiedenen Beiträgen des von Landrat Fritz Brix erarbeiteten ostpreußischen Heimatbuches Tilsit-Ragnit)

© 2004 by dietmar h. zimmermann
letzte Änderung am 05.06.2019

Entstehung des Ostpreußen

Eine lockere und unwissenschaftliche Betrachtung
Über Ostpreußen ist viel geschrieben worden. Über den Ostpreußen auch. Wer war er denn nun? Dialekte gab es viele Arten. Der Verdacht kommt auf, es gibt ihn gar nicht, diesen seltsamen Menschen. Nehmen wir die Religion, so gab es zwei Richtungen und eine ganze Menge unabhängiger religiöser Gruppen. Die alten Bräuche der alten Preußen waren auch noch zum Teil erhalten.
Da sind wir schon in der Vorzeit. Caspar Henneberger hat auf seiner Landkarte von Ostpreußen aus dem Jahre 1559 in der Randbeschreibung einiges überliefert. Woher er die Weisheit hatte, ist nicht bekannt. Seiner Ansicht nach gab es ursprünglich einen Herrscher für das ganze Gebiet und der hieß Vidivotu. Als er sein Ende nahen fühlte, teilte er sein Gebiet unter seine Söhne auf. So entstanden die kleineren Gebiete, deren Namen sich von den Söhnen herleitete. Diese Bezeichnungen sind erhalten geblieben.
Lassen wir nun die alten Preußen erst einmal alleine. Es tauchten nämlich die Goten auf. Sie kamen von der Ostseeinsel Gotland. Dort gefiel es Ihnen wohl nicht mehr und so ließen sie sich erst einmal in der Weichselniederung nieder. Dort hielten sie es nur wenige Generationen aus. Dann juckte sie wieder das Fell und sie zogen weiter nach Süden. Am Schwarzen Meer machten sie rechtsum und marschierten weiter nach Oberitalien und bis Spanien. Das ganze war dann die Völkerwanderung. Mehr hat man von Ihnen nicht gehört.

Eine zweite Gruppe aus dem Norden fand einen anderen Weg, die alten Preußen zu belästigen. Sie hatten ausgekundschaftet, daß man auch auf der Memel weiterkam. Wie sie das erfahren hatten, weiß man nicht. Jedenfalls entdeckten sie bei Cranz eine Furt in das Kurische Haff und legten dort einen Friedhof an. Neugierige Leute haben ihn ausgegraben und daher haben wir diese Wissenschaft. Sie fuhren also die Memel aufwärts bis es nicht mehr weiter ging. Dann legten sie ihren Schiffen Rollen unter und zogen sie über Land, bis sie wieder einen Fluß fanden, den sie abwärts fahren konnten. Und so gelangten sie auch ans Schwarze Meer. Einem von ihnen langte schon der Weg bis in die Gegend von Kiew. Dort stieg Rurik aus und gründete das erste russische Reich. Die andern zogen weiter und trieben Handel mit den Bewohnern. Ihre Spuren sind weit im Osten nachgewiesen. Man hieß diese Handelsgrenze den „Warägischen Grenzzaun”. Sogar am Hof von Byzans waren sie als Wachsoldaten tätig.
Damit verlassen wir die ersten Durchreisenden und widmen uns wieder den alten Preußen. Die dürften in ihren einzelnen Gebieten nicht mehr Ärger untereinander gehabt haben, als es unter Brüdern üblich ist. Anders sah es mit den südlichen Nachbarn aus. Herzog Konrad von Masovien, der Landschaft südlich von Masuren, wurde von ihnen wohl öfter geärgert. Er rief daher den „Deutschen Ritterorden” zu Hilfe. Woher er wußte, daß dieser arbeitslos geworden war, ist auch nicht überliefert.
Der Ritterorden war während der Kreuzzüge in Akkon so als eine Art „Rotes Kreuz” für die Kreuzfahrer gegründet worden. Da die Bewohner von Palästina auch über die Besetzung nicht erfreut waren, mußten die Kreuzfahrer bald das Land räumen und suchten sich eine neue Arbeit. Den Ritterorden zog es zunächst auf den Balkan, wo es eine Bedrohung durch Völker aus der russischen Steppe gab. Dort versuchte er auch ein eigenes Gebiet zu beherrschen. Dies gefiel dem örtlichen Fürsten natürlich nicht, und so mußte der Orden diese Pläne aufgeben. Da kam der Ruf von Herzog Konrad gerade rechtzeitig.
Durch Erfahrung gewitzt, ließ der Hochmeister, das war der Oberbefehlshaber des Ritterordens, sich von Friedrich, dem Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, mit der „Goldenen Bulle von Rimini” alles Land übertragen, das er besetzen würde. Vom Papst erhielt er den Auftrag, die alten Preußen zu Christen zu machen. Das Land gehörte dem Kaiser zwar nicht, und von der Missionierung wollten die alten Preußen auch nichts wissen. Sie hatten gerade Adalbert von Prag bei einer Beschädigung ihres heiligen Haines erwischt und, wie damals üblich, erschlagen. Da sie aber sehr human waren, gestatteten sie seinen Begleitern die Leiche mitzunehmen. Die wurde dann im Dom zu Gnesen ausgestellt.
Das Vorauskommando der Ritter machte sich also unter dem Landmeister Balk auf den Weg und kam eines Tages an der Weichsel an. Dort legten sie die erste Feldbefestigung an und zogen dann die weiteren Brüder nach. So ganz ohne Widerstand der alten Preußen ging das nicht. Sie erhielten Hilfe aus dem Reich, z.B. König Ottokar von Böhmen und viele anderen Ritter zogen ins Preußenland um sich dort ihre Rittersporen zu verdienen. Bei der Gelegenheit wurde von Ottokar die Stadt Königsberg gegründet. Es dauerte einige Jahrzehnte, bis diese Aktion mindestens dem Namen nach abgeschlossen war.
Nun verlegte auch der Hochmeister seinen Sitz in die Marienburg. Es begann nun das, was später unter dem Namen „Ostkolonisation” bekannt wurde. Da die Rittersleut durch ihr Gelübde zur Keuschheit verpflichtet waren, konnte auf diese Weise kein Staatsvolk entstehen. In Thüringen, Franken und Sachsen sammelten sogenannte „Locatoren” alle auswanderungswilligen Leute ein und zogen damit ins Preußenland. Wahrscheinlich entstand so auch die Sage vom „Rattenfänger von Hameln”. Außerdem beschäftigte der Orden auch eine Anzahl von Söldnern und freien Bediensteten. Wie weit diese Einfluß auf die Bevölkerung hatten, ist nur schwer abzuschätzen. Jedenfalls dürften auch sie sich für die Töchter des Landes interessiert haben. Die Ansiedlung der Zuwanderer erfolgte in Städten und Dörfern, die zum Teil erst gegründet wurden. Sie wurden manchmal getrennt von den alten Preußen durchgeführt. Da gab es z. B. „Deutsch Eylau” und „Prußisch Eylau”. Die alten preußischen Siedlungen behielten ihre Ortsnamen bis weit in das 20. Jahrhundert. Mit dieser Bevölkerungsmischung war der Grundstein für den „Ostpreußen” gelegt. Auch war dies die Grundlage für die Vielfältigkeit des ostpreußischen Dialektes.

Der nächste Schub erfolgte nach der verlorenen Schlacht bei Tannenberg. Der Ordensstaat war politisch ziemlich am Ende, und der König von Polen betrachtete den Hochmeister als seinen Lehnsmann. Dieses Verhältnis wurde erst durch den „Großen Kurfürsten” beendet. Es dürfte aber keinen großen Einfluß auf das Geschehen gehabt haben. Der letzte Hochmeister in Preußen, Herzog Albrecht, war schließlich mit dem König von Polen verwandtschaftlich verbunden. Dies war und ist bis heute beim europäischen Adel nichts ungewöhnliches. So kamen also in den geschwächten Staat Einwanderer aus dem südlichen  Masowien und dem nördlichen Litauen in den Ordensstaat.
Die nächsten großen Gruppen kamen, durch die nach der Reformation in Europa durch die katholische Kirche inszenierte Verfolgung andersgläubiger Christen. Aus Frankreich wurden auf Veranlassung der Katharina von Medici die Hugenotten vertrieben. Aus Salzburg vertrieb der Erzbischof Firmian aus dem Gebiet um Hallein, Werfen und Goldegg etwa 15500 Protestanten. Ostpreußen war durch die Pest ziemlich entvölkert, und es standen viele Anwesen leer. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm faßte die Gelegenheit beim Schöpf und lud die Salzburger Exulanten nach Ostpreußen ein. Die Trecks wurden von ihm organisiert, und es gab sogar ein Tagegeld für die Auswanderer aus der königlichen Schatulle. Beim Zug durch die katholische Kaschubei erhielten die Auswanderer sogar militärische Bedeckung.
In Ostpreußen wurden sie auf die leeren Höfe und auch in die Städte verteilt. Zunächst blieben sie unter sich, aber in den späteren Generationen heirateten sie auch in die eingesessene Bevölkerung ein. Aus Holland kamen noch die Mennoniten und siedelten in der Elchniederung und schufen dort ein ordentliches Bewässerungssystem. Im dreißigjährigen Krieg kamen auch weitere Flüchtlinge in das vom Krieg verschonte Ostpreußen. Auch bei den Tatareneinfällen sind sicher einige hängen geblieben. Sie waren aber wohl ohne deutlichen Einfluß auf die Bevölkerung. Aus Rußland sind auch noch die Philiponen eingewandert. Sie lebten in einer verhältnismäßig geschlossenen Ansiedlung in Masuren und pflegten ihre Sitten und Gebräuche. Aus Rußland waren sie ausgewandert, weil sie keinen Wehrdienst leisten wollten. Zunächst galt die Befreiung auch in Preußen , geriet dort aber bald in Vergessenheit, und so gab es damit auch hier einige Probleme.
Aus den angrenzenden östlichen Staaten sind dann auch Juden eingewandert, die blieben aber im wesentlichen unter sich und spielten nur im Handel sowie in einigen akademischen Berufen eine Rolle.

Nach dem zweiten Weltkrieg geschah eine völlige Änderung der Bevölkerungstruktur. Durch die Vertreibung des größten Teiles der deutschen Bevölkerung entstand ein Vakuum, welches durch Polen aus den östlichen polnischen Gebieten im südlichen Ostpreußen aufgefüllt wurde. Nach Nordostpreußen siedelten die Russen Menschen aus ganz Rußland um. Sie fanden dort ein sehr zerstörtes Land vor und hatten noch viel zu tun, um dort vernünftige Lebensbedingungen zu schaffen. Durch die Aufnahme Polens und der Baltischen Staaten in die europäische Union entstand nun eine russische Enklave mit schwieriger Verbindung zum Mutterland.

Die Ostpreußen deutscher Art sind nun in ganz Restdeutschland verteilt und pflegen das Andenken an die Heimat in der Landsmannschaft Ostpreußen. Es ist zu hoffen, daß diese Verbindung einmal gleiche Bedeutung erhält wie der Salzburger Verein, der immerhin noch nach über 270 Jahren nach der Vertreibung tätig ist.

Autor :© 2004  Siegfried Harbrucker

Quelle : Tilsiter Rundbrief Nr. 33/2003 Seite27ff

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letzte Änderung am 05.06.2019

 

 

Der Zug ins „Land, wo Milch und Honig fließt”

– Die Ausweisung der Salzburger Glaubensflüchtlinge 1732 –

In seinem Buch über die Salzburger Emigrationsgeschichte von 1737 berichtet Gerhard Gottlieb Günther Göcking über die Vertreibung der Salzburger Protestanten in das Land, in dem der Wald voll mit Bienen und Honig und die Weiden voll Milch liefernder Kühe sind.

Voller Hoffnungen zogen die aus ihrer Heimat Vertriebenen in kleineren und größeren Gruppen zu Fuß, mit Pferd und Wagen sowie mit Schiffen in das ferne unbekannte flache Preußenland an der Memel. Bis auf wenige Ausnahmen erhielten die Flüchtlinge in allen Durchzugsgebieten großzügige Hilfe und Bewirtung. Die Transporte wurden von erfahrenen Wegeführern und Geistlichen geleitet. In den katholischen Gebieten, wie etwa Polen, begleiteten sie zum Schutz preußische Reiter.

 

Nach dem allgemeinen Empfang in Berlin durch den König ging es auf verschiedenen Landwegen oder mit Segelschiffen ab Stettin zunächst nach Königsberg und dann weiter auf Landwegen, aber auch auf Kähnen auf dem Pregel nach Preußisch-Litauen.

Von Berlin zum Schiffstransport nach Stettin gelangten die Siedler auf der Landstraße über Angermünde oder auch erst mit dem Wagen bis nach Küstrin und sodann mit Kähnen auf der Oder nach Stettin.

Schriftlich dokumentiert sind:

20 Transporte zu Wasser mit insgesamt 66 Schiffen. Von den 10.780 transportierten Personen erreichten 10.265 das Ziel. 515 Menschen überlebten die anstrengende Reise nicht. Je nach Witterung benötigten die Schiffe bis zu sechs Tage. Obwohl die Transporte aus je 4 – 6 Schiffen bestanden, fuhren sie nicht im Verband.

10 Transporte auf dem Landweg mit insgesamt ca. 1.000 Wagen und etwa 1.400 Pferden. Somit waren rd. 600 Einspänner und 400 Zweispänner eingesetzt. Von den 5.533 Personen erreichten 5.243 ihr Ziel. Bei Tagesstrecken von 15 bis 42 km benötigten sie für die ca. 600 bis 650 km von Berlin nach Königsberg 30 Fahrtage zusätzlich einiger Ruhetage.

Nach anderen Quellen gelangten insgesamt 20.694 Salzburger Emigranten bis 1733 nach Ostpreußen. Gemäß Göcking waren es 15.508 Menschen, die 1732 einwanderten.

Autor :  © 2009 Botho Eckert

Quelle :  Heimatrundbrief “Land an der Memel” Nr. 84/2009 Seite  41

 

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