Ein Beitrag von Bernd Polte
Vor 300 Jahren Stadtrechte durch König Friedrich Wilhelm der Erste verliehen
In diesem Jahre 2022 jährt sich zum 300. Male, dass der preußische König Friedrich Wilhelm der Erste am 06. April 1722 der Marktsiedlung Ragnit das Stadtrecht verlieh und das Stadtpatent unterschrieb. Viele Ostpreußische Städte hatten bereits im 14. und 15. Jahrhundert das Stadtrecht verliehen bekommen. Die dünn besiedelten und militärisch angreifbaren Orte an der Grenze des Ordensstaates waren nicht dabei. Er tat dies trotz des Widerstandes der eingesetzten königlichen Kommission, die die Erhebung Ragnits zur Stadt mehrfach ablehnte. Die Argumentation der königlichen Räte lautete; “dass Ragnit der nur eine Meile entfernt gelegenen Stadt Tilsit Nachteile und Abbruch in Commercio, auch in der Brau- und anderer Nahrung thun könnte“. Diese Erhebung zur Stadt erfolgte in formloser Weise als Verwaltungsakt, ohne besondere Privilegien für Ragnit.
Der Soldatenkönig hatte sich durchgesetzt, aber Ragnit hatte bis 1945 im Schatten der zweitgrößten Stadt Ostpreußens, Tilsit, gelebt, welche 1552 das Stadtrecht von Herzog Albrecht verliehen wurde.
Ragnit hat eine große Geschichte im Nordosten Ostpreußens
Um 1220 urkundlich als hölzerne Festung der Schalauer, eines der preußischen Stämme der Urbevölkerung erwähnt, war der Ort am südlichen Steilhang des Memelstromes über Jahrhunderte ein Ort kriegerischer Auseinandersetzung. Der Deutsche Orden errichtete hier in der „Wildnis“ die nordöstlichste Befestigung ihres Herrschaftsgebietes. Vielfach wurden diese durch Einfälle feindlicher litauischer Truppen vernichtet und geschleift. Das über Jahrhunderte prägende Bauwerk Ragnits, das mächtige Ordensschloss wurde 1397 – 1409 errichtet und war mächtiges Bollwerk an der Memel. Es war auch Sitz der Komturei, welches auch die Herrschaft über die Ordensschlösser in Tilsit und Labiau ausübt. Die Absicht, zu dieser Zeit den Ort mit seiner Siedlung zum Christentum bekehrter Schalauer Bürger das Stadtrecht zu verleihen, zerschlug sich mit der Niederlage und dem Untergang des Deutschen Orden nach der verlorenen Schlacht bei Dannenberg. Mit dem Verlust dessen Einflusses und einer Periode des Friedens verlor der feste Platz Ragnit seine Bedeutung als Amtssitz und Handelsplatz. Mit der Stadterhebung Tilsits, dessen großen wirtschaftlichen Aufschwung und Verbindung ins Memelland verlor Ragnit an Bedeutung und blieb ein Marktflecken mit vorwiegender Landwirtschaft.
2/3 der Bevölkerung fallen Krieg und der Pest zum Opfer
Nach kriegerischen Tragödien des Schwedisch-polnischen Krieges, des furchtbaren Tatareneinfalles und der Pest, der über zwei Drittel der Bevölkerung im nördlichen Ostpreußen zum Opfer fiel, setze König Friedrich Wilhelm der Erste alles dran, seine ostpreußische Provinz wieder zu besiedeln und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu organisieren. So vergab er auch am 06.04.1722 an den Marktflecken Ragnit das Stadtrecht, um Handel und Handwerk zu fördern. Ragnit hatte zu diesem Zeitpunkt ca. 1000 Einwohner, 4 Krüge, 14 Ackerhöfe und 61 Handwerkerstellen. Die Ansiedlung Salzburger Exulanten durch den König in der „Gumbinner Wildnis“ hatte auch positive Auswirkung beim Bevölkerungswachstum und im wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt Ragnit. So wuchs die Bevölkerung bis 1782 auf 1900 Einwohner.
Das vom König verliehene Stadtwappen zeigte eindrücklich den Charakter und die historische Vergangenheit Ragnits:
– im Schildfuß einen Fluss, die Memel
– auf dem Steilufer die wehrhafte Silhouette der Stadt
– darüber der preußische Adler mit dem Auge Gottes.
Die Umschrift des Wappenschildes lautete: „Sub us tuta ragnita“-„Unter diesem Schild ist Ragnit sicher“.
Ragnit blieb im Schatten Tilsits weiterhin eine kleine Landstadt. Eine Aufwertung erhielt Ragnit 1815, als es im Rahmen der preußischen Kommunalreform zur Kreisstadt des Kreises Ragnit, dessen Territorium sich beiderseits der Memel befand, ernannt wurde. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann ein wirtschaftlicher Aufschwung mit dem Bau des Zellstoffwerkes, einer Maschinenfabrik, einer Kistenfabrik und einer regen Binnenschifffahrt auf dem Memelstrom. Die Bevölkerung wächst auf über 7000 Einwohner. Ein Einschnitt erfuhr die Stadt Ragnit nach Ende des Ersten Weltkrieges. 1920 musste Deutschland das Memelland nach Artikel 99 des Versailler Vertrags abtreten bis es 1922 von Litauen okkupiert wurde. Der Kreis verlor die dortigen Gebiete und die Memel wurde nun Staatsgrenze. Es wurde der Kreis Tilsit-Ragnit gegründet und Ragnit verlor seinen Kreissitz an Tilsit. Ragnit blieb ein Landstädtchen, welches am 19.01.1945 am Ende des 2. Weltkrieges von sowjetischen Truppen, ohne größeren Widerstand, besetzt wurde.
Der historische Name Ragnit, beruhend auf die prussischen Bezeichnung der alten Festung – Ragnita, gehört der Vergangenheit an.
Ab 1947 ist der Name der des alten ostpreußischen Ortes Neman.
So nennen die Russen auch die Memel, auf dessen Steilufer sich die Stadt befindet. Der neue Name der Stadt hat in diesem Jahre 2022 bereits sein 75-jähriges Jubiläum.
Die Stadt Neman hat auch heute unter der Randlage zur EU-Außengrenze zu Litauen zu leiden. Die Bevölkerung wandert wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektiven ab. Der Plan des Baus eines Atomkraftwerkes hat sich zerschlagen und das Nachfolgeprojekt, des Baus einer Batteriefabrik in Zusammenarbeit mit Südkorea, ist in der jetzigen politischen Situation ungewiss. Hatte Neman 2012 noch über 12 000 Einwohner, sind 2021 nur noch 9255 gemeldet. In den letzten Jahren sind in der Stadt durch engagierte Einwohner viele Aktivitäten entwickelt worden, das alte Ragnit in seinen noch vorhandenen Gebäuden zu erhalten und auch für Touristen attraktiver zu machen. Das historische Hotel „Deutsches Haus“ wurde rekonstruiert, ein Gästehaus und eine Käserei eingerichtet. Die Ruine des Ordensschlosses wurde beräumt, Teile werden rekonstruiert und Pläne der teilweisen Wiederherstellung und Nutzung sind vorhanden. Der Stadtpark und der historische Schloßmühlenteich wurden neu gestaltet. Weitere Projekte, wie die Wiederherstellung des wunderschönen Wanderweges entlang der Daubas an der Memel, sind in Planung.
Wünschen wir unserer alten ostpreußischen Stadt Ragnit und ihrer heutigen Bevölkerung viel Erfolg bei diesen Projekten zur Gestaltung des historischen und modernen Gesichtes. Wir freuen uns, bei möglichen zukünftigen Reisen in die Heimat an der Memel dies in Augenschein nehmen zu dürfen.
Bernd Polte
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